Gastbeitrag: Frau Steiner

Gastbeitrag von Manuel Thiel (Instagram: mbeltham)

Wir sind etwas aufgeregt, so öffentlich waren Mensch und Maschine bisher nicht. Sieht man von einem kleinen Instagram Account ab. Der Wagen und ich sind zwei bescheidene Schwaben. Der Besitzer ist kaum eine Mopf Version älter als der mobile Begleiter selbst. Um diesen Kauf etwas besser zu verstehen, zuvor eine kurze Vorgeschichte zum Prozess. Der vorherige Daily Driver war ein blauschwarzes E220 Coupe – der Besitzer hat ihn sehr geliebt. Statt ihn wegzustellen (der C124 hieß Sir John), hat er ihn jedoch schweren Herzens weiterverkauft. Wozu abstellen – wäre er doch dem Verfall vollends zum Opfer geworden. Sein hübsches Exterieur entsprach leider nicht dem schwerwiegenderen Befall der Unterhaut. Bei allem Idealismus sollte diesen Wagen dann eben noch ein 9. Besitzer hoffentlich genauso würdigen. Beim Abschied flossen zum ersten Mal Tränen aufgrund eines Blechfreundes. Dennoch gab es auch vorsichtige Glücksgefühle Richtung Traumauto welches sich bereits in der Verkaufsphase des aktuellen Untersatzes ankündigte.

Ein perlmuttgraues 300er Mopf1 124er-Coupe mit vulgärer roter Lederausstattung und einem Feuerwerk für SA-Fetischisten. Der Blauschwarze hatte sich überraschend schnell verkauft, im Gegenzug zog sich der Kauf des vermeintlichen Traumautos hin. Die Skepsis wurde größer. Der Verkäufer des Porno-Coupes, wie es schon einige Bekannte nannten, wollte das Fahrzeug nur im einwandfreien Zustand abgeben,nach Ankündigung ernsthafter Kaufabsicht folgte ein erheblicher Defekt der Klimaanlage. Um es kurz und schmerzlos zu machen, nach fast 3 Monaten geduldiger Warterei und autoloser Zeit zerstörte der letzte Anruf des Verkäufers den Traum vom fast perfekten W124 Coupe. Der dem Vernehmen nach lebenserfahrene, arrivierte Verkäufer entschied sich nach einer nicht enden wollenden Odysee gegen den Verkauf seines Heilig Blechle. Sehr stilvoll. Den folgenden Unmut, um es milde auszudrücken, kann sich ein jeder Autoliebhaber ausmalen.

Es formulierte sich langsam wieder der Grundgedanke, die ursprüngliche Intention, den neuen alten Alltagswagen betreffend. Selbstverständlich sollte es wieder ein W124 werden, bestenfalls ein 220er. Abgesehen von der Motorkabelbaum- UND Zylinderkopfdichtungslektion dank Sir John (bisher hatte man eben Glück) schien diese Wahl doch am wirtschaftlichsten, schwäbisch gesehen. Es sollte eine Limousine werden, waren doch bis auf selbige und das Cabrio alle restlichen Varianten schon einmal garagentechnisch vertreten. Schnörkellos sollte sie sein, trotzdem ein Mindestmaß an Ausstattung – Airbag und zwei elektrische Fensterheber. Was braucht es mehr. Das Objekt durfte gebraucht sein, obgleich noch so ansehnlich, dass man sich nicht gänzlich schämen müsste. Die emotionale Bindung bliebe, bedingt durch die W124-esque Mittelmäßigkeit also homöopathisch. Hagelwetter, sonstige autophil behaftete Ängste sollten ausbleiben, davon wollte man diesmal schlichtweg befreit bleiben.

In alter Alf-Cremers-Manier konnte sich demnach garantiert schnell irgendwo ein unvernünftiger Schnapper finden lassen, der man(n) für ein bis zwei Jahre von A nach B brächte, nicht mehr und nicht weniger. Dank stetiger Plan-B Rücklagen auf einschlägigen Gebrauchtwagenbörsen fand sich sogleich ein avisiertes Exemplar. Eine bornitfarbene Mopf2 Limousine mit einer Austtattung, die der des Traumcoupes SA-technisch noch um ein paar Kreuzchen überlegen war. Unfassbar. Der ungeliebte Farbton nivelliert die zu verhindernde potentielle Bindung durch die opulente Austtattung, also alles okay. Gleichermaßen unfassbar war die Begutachtung des Objektes, war jenes doch wieder ein Paradebeispiel an erschütterndem Live-Ist-Zustand im Vergleich zum medialen Auftritt. Ein so schlechtes Exemplar war dennoch ein Novum. Diese neuerliche Enttäuschung provozierte auf der Heimfahrt die Erinnerung an eine weitere Mopf2 Limousine, die bereits beim Erstkontakt anhand der Bilder ad acta gelegt wurde, aber auf dem Weg lag. Schlimmer konnte es ja nun nicht mehr werden.

Freudensprünge löste sie nicht aus, aber auf einem kleinen Dorf wohnend musste dringend ein automobiler Notuntersatz her. Das Wetter war perfekt, die laue Abendsonne gepaart mit der ewig optimistischen Ader sah zusammen mit den Schafen,die zur Linken standen und somit dem Glück entgegenwinkten, Licht am Horizont. Die Limousine stand hinter dem Haus, als ob man es bereits aufgegeben hatte, den Wagen an den Mann zu bekommen. Falsche Inseratsangaben rächen sich, wer möchte schon ein Schaltgetriebe. Allerdings war es nur ein E200, Muttern zufolge sollte man PS-technisch nicht absteigen. Egal. Gezeichnet mit den Spuren zweier Vorbesitzer deutlich fortgeschrittenen Alters, stand der E200 da – mit einem Stolz und einer Grazie, dass einem ganz ehrfürchtig wurde. Bizarr.

 

Meine Begleitung (die Mama – Probefahrten wurden zur Mutter-Kind quality time) und ich sahen uns an, grinsten und nickten. Nach unzähligen Probefahrt-Touren mussten diese Dinge nicht mehr verbalisiert werden. Wenn Objekte eine Seele haben konnten, dieses Auto hatte definitiv eine. Mit Händen und Füßen hat man es dann zusammen mit dem unglaublich freundlichen, aber der deutschen Sprache nicht mächtigen Aushilfsverkäufer zu Montage der roten Nummer geschafft. Man hatte freilich keine großen Erwartungen, aber die Probefahrt verlief überaschend problem- und geräuschlos. Er fühlte sich wertiger an, als Preis und optischer Zustand vermuten ließ. Man fühlt es einfach. Nach einer herrlich unromantischen, abgeklärten Begutachtung, ohne vollständige W124-Vorsichts-Klaviatur stand er nun garnicht mal so schlecht da. TÜV noch über ein Jahr, gute Reifen…bremst, fährt, lenkt. So wurde aus dieser Nicht-Kauf-Ambition ein überraschender Notfall Hit, der zwar noch eine Nacht überschlafen werden wollte aber zugegebenermaßen schon vorher besiegelt war. Nettigkeiten wie Tempomat, ein drittes Bremslicht, Sportlederlenkrad mit passendem Wählhebel und die heiß geliebten glanzgedrehten Felgen taten in Eintracht mit der intensiven Strahlkraft des Autos ihr übriges. Dieser Mercedes wollte unbedingt zu mir, wir haben es letztendlich alle gespürt. Ich hörte sie schon, die Unkenrufe meiner Mitmenschen. Rentnerbeige (Rauchsilber), eine Limousine, „Wie alt bist du?“, Spießer! Gegen derartige Ausfälle ist man mittlerweile gottseidank immun, nicht jeder versteht ein altes Auto. Man wird reifer und frecher, die Preisverhandlungen waren für den Verkäufer erniedrigend. Man war nun auch einmal am Zug. Im Endeffekt jedoch von Erfolg gekrönt. Der Händler wollte ihn loswerden, man entwickelt ein Gespür dafür.

Nach einer notwendigen Säuberung des Innenraums – man hatte noch nie zuvor ein so schmutziges Automobil gekauft – strahlte dieser Wagen erfreulicherweise eine ungeahnte Frische aus. Auch die ersten Kilometer im nun neuen, alten Alltagswagen brachten erfreuliche Erkenntnisse mit sich. Ja, man hatte einen W124 mit mehr optischer Patina als gewünscht für ein Handgeld gekauft – vieles spräche dabei für fortgeschrittenen Dachschaden, so etwas machte man doch nicht. Aber das ganzheitliche Fahrgefühl, ein straffes Fahrwerk, Lenkungsspiel, selbst der Blinkerhebel, die Fensterheber, alles forderte Nachdruck und zeugte von einer Jungfräulichkeit die bisher selten erfahren wurde und bot eben jenes Gefühl von Faszination und Solidität, für das der Daimler steht. Warum wir Mercedes kaufen. Welch ein Geschenk.

Was zur Namensfindung zum Neuerwerb führte. Frau Steiner. Älter, vom Leben gebeutelt, aber doch so monumental würdevoll und augenzwinkernd erhaben, wie es nur sein kann. Sie steht vorne etwas höher. Man hatte mit den Großeltern zu viel Steiners Theaterstadl geschaut, so stand nun Frau Gerda Steiner-Paltzer in automobiler Form im Hof. Man nennt das wahrscheinlich Nostalgie. Doch wird auch die Moderne im Youngtimer gern gesehen, die Infrarot-Schließanlage ist angenehmer neuer Komfort. Hoffentlich wird sie niemals ihren Dienst quittieren. Man ahnt es, die Grundidee des Kaufes in emotionaler Hinsicht wurde mit jedem weiteren Kilometer dahingerafft. Nach einer weiteren Station von Bonding zwischen Mensch und Maschine nach Art der Gebrauchtwagen-Profis, wurden die ramponierten Stellen etwas aufgehübscht. Rostbehandlung und Lackauftrag waren eine weitere Premiere für den Neubesitzer, aber wer nicht wagt der nicht gewinnt und schlimmer konnte es ohnehin nicht werden. Die quintessenzielle Lektion dieser Autobeziehung ist demnach folgende – ungeachtet dem Zustand des Objektes, carlove bleibt carlove, Mercedes bleibt Mercedes und eine spirituelle Bindung entsteht, ob lebendes Objekt oder nicht. Auch wenn diese Worte belächelt werden. Frau Steiner steht also für jene Gefühle gegenüber einem Automobil die kaum in Worte zu fassen sind, aber viele verstehen. Dieser Hauch besagter Nostalgie, das alte Deutschland, das ein 80er Jahre Kind noch ansatzweise nachempfinden kann, aber ebenso beherrscht ein W124 den Spagat hin zum postmodernen Kulturgut. Zum Hipster-Symbol dient dieser Wagen allemal und ist noch lange nicht am Ende seiner ideellen Laufbahn. Vielleicht symbolisiert Frau Steiner den Charakter des Besitzers ganz auf ihre Weise, von menschlicher Imperfektion aber essentiell humaner Grundausttattung.

Die Beziehung geht wünschenswerterweise über die angepeilten 2 Jahre hinaus, Frau Steiner läuft nun schon ein Jahr lang bis auf eine Wasserpumpe problemos und Freude provozierend. Es stehen jedoch große Entscheidungen an. Umfassend investieren oder lediglich erhalten bis zum würdellosen Ende. Der Optimist hat eine schöne Idee. In jedem Fall sind der Besitzer und Fr.Steiner auf Hilfe und einer guten Portion Idealismus angewiesen. Doch sind wir das nicht alle…